WIE VIEL KULTUR BRAUCHEN WIR?

 Mit Sicherheit viel mehr als wir uns heute überhaupt vorstellen können – zumindest im Bereich der  „politischen Kultur“. Ich möchte hier keine Stellung dazu beziehen, ob es im politischen  Bereich jemals Kultur gegeben hat oder derzeit absehbar in, ob es mal eine geben wird. Als Liberale liegen uns zwar Friedrich Naumann, Thomas Dehler, Theodor Heuß oder Karl-Hermann Flach sofort auf den Lippen, wenn wir uns zum Thema „politische Kultur“ aber wahrscheinlich ist dies liberale Betriebsblindheit. Jedenfalls sind Liberale grundsätzlich der Meinung der politischen Kultur besonders nahe zu kommen, deshalb machen wir auch so oft neue „Kulturprogramme“. Vor der „Wende“ haben wir zwar mehr Kulturschaffende in unseren Reihen, aber auch heute noch scheinen wir – außer den Grünen -noch immer die politische Anlaufstelle der meisten badenden Künstler zu sein. Nichts destotrotz haben wir uns umorientiert und die „kulturelle“ Masse entdeckt. Eine moderne Form des Wählerfanges. Man erkläre nur eine genügend grosse Masse zu Kulturbürgern und stelle sich dann als politische kulturelle Alternative da – schon wird man gewählt. Wallmann in Frankfurt läßt grüßen. Aber hören wir doch mal unseren Parteioriginalton, beschlossen in Hannover 1986: Liberale wollen kulturelle Aspekte als ein Gestaltungsprinzip wirksam werden lassen, das bei der Lösung der Probleme unseres Zusammenlebens und unserer zivilisatorischen Umwelt ebenso mitbedacht werden muß wie in der Schul-, Bildungs- und Ausbildungspolitik, bei der Bewahrung. Forderung und Darstellung künstlerischer und kulturelle, Leistungen und nicht zuletzt im Bemühen der Liberalen, der Verwilderung unserer politischen Kultur und des Stils der Auseinandersetzung durch äußere Formen, vor allem aber durch das eigene beispielhafte Verhalten entgegenzuwirken. Ein so bestandenes erweitertes liberales Kulturverständnis setzt sich zum Ziel, die vielfältigen geistigen und kulturellen Dimensionen des Lebens, die das menschliche Dasein bereichern und vertiefen, zumindest gleichrangig neben die Befriedigung materieller Bedürfnisse und Verbesserungen zu stellen. Kunst und Kultur sind von zentraler Bedeutung für Lebenserfüllung und Selbstfindung des Menschen. Gerade jetzt in einer Zeit tiefgreifender struktureller  Veränderungen nicht zuletzt durch umwälzende neue Technologien ist es wichtig, sich den Stellenwert von Kunst und Kultur für die menschliche Entwicklung und die Entwicklung des menschlichen bewußt zu machen. 

 Künstler haben zu allen Zeilen durch selbstgewählte und selbstgestaltete Tatigkeit ein Beispiel für die Fähigkeit zum Leben nach ureigenstem Entwurf fernab von Normen, Dogmen und Schablonen gegeben. Kunst und Künstler geben Anstöße für neue Entwicklungen in vielen Bereichen der Gesellschaft“ 

 bla, bla, bla – usw. usw. usw. 

 Mit diesem fundamentalen Basiswissen ausgerüstet schwärmen wir nun über Land und beglücken die Bürger, zumindest zunächstmal uns selber. Kulturforen, Bilderausstellungen und Preisverteilungen sind Aktionen direkter liberaler Parteipolitik. Wir müssen nur aufpassen, daß es nicht bald mehr Preise als potentielle Preisträger gibt. Zum Glück sind wir ja auch in Regierungsverantwortung. Eine Kulturstiftung, eine Fachwerkstraße, das Kulturdenk mal durch Rubbellos und nicht zuletzt die kulturelle Aufwertung der Provinz sind neben vielen anderen Aktionen und Aktivitäten – wer will eigentlich aktiv sein – Ausfluß liberaler  

Kulturpolitik. ein ganzer Warenkorb liberaler Weltverbesserung. „Kultur für alle“ ist ein Programm so ehrgeizig wie „Wehnachten im sterbenden Wald“  Kann es überhaupt Kultur für jeden geben? Kunst zum alsbaldigen Gebrauch bestimmt –oder warb es der Verbrauch? Der Amerikaner Ben Vautier hat 1972 in Kassel während der Dokumenta ein Transparent ,,Kultur ist überflüssig” vor das Fidericianium gehängt und damit das ,,normale” Kulturbildungsbürgertum geschockt. Vautier hat aber nur ein besonderes Selbstwertgefühl zum Ausdruck gebracht. Es war eine Absage an jede gesellschaftliche und politische Inanspruchnahme der Kunst. Kunst läßt sich in keinen Dienst stellen und sei er noch so gut gemeint. Kunst ist Freiheit, purer Überfluß, das absolut Unbrauchbare. 

Wenn Kunst sich selbst als überflüssig empfindet, wie rechtfertigt sich dann öffentliche Unterstützung für Theater, Oper, Musen, oder Ausstellungen. So denken, auch in Unerkenntnis von Ben Vautier, viele Bürger. Sie sehen Kunst als ,,Schicki-Micki“ Veranstaltung für einige Wenige. Eine Gelegenheit um das neue Ballkleid oder den neuen Smoking spazieren zu führen, um bei lauwarmen Champagner kulturtriefende nichtssagende Gespräche abzusondern und nicht zuletzt um gesehen zu werden. 

Völliges Unverständnis bringt die Menge der Mitbürger den enormen Versteigerungserlösen bekannter Kunstwerke entgegen. Worin der Gegenwert nun eigentlich beruht entzieht sich jeder rationalen Erkenntnis. Scheinbar in Mengen überflüssiges Geld paart sich mit Kunst. Jede Seite des Geschäftes will mit dem Wertsystem des anderen Partners seinen eigenen Ruf verbessern. Beide Wertsysteme betreiben Inflation. 

Aber auch in unserem direkten Umfeld ist eine fieberhafte Vermehrung von Kunst zu beobachten. Kaum eine Stadt, die sich nicht mit einem Festival schmückt. Ganze bisher abgelegene Landschaften verwandeln sich plötzlich in künstlerischen Szenarien und ästhetische Erlebnisräume. Alles wird zur Kulisse und alles zur Bühne. Am attraktivsten ist, was seinen ursprünglichen Zweck verloren hat, was nutzlos war oder geworden ist. Der Zeitgeist läßt grüßen. 

Ein ganzes Land, ein ganzes Volk wird zur Kultur. Wie im liberalen Ansatz wird alles vergeistigt. Eine Utopie wird nur scheinbar wahr, denn nach meiner Meinung sehr sie in der Allgegenwart des Ästhetischen verloren. Kunst verliert ihren Rang, wenn sie allgemein verwertet wird. Alle Unterschiede werden ausgeglichen. Kunst wird zum Nichts. Kunst ist nicht mehr Gegenspiel, sondern taucht im Meer der Unterhaltsamkeit unter. Laßt uns als Liberale Kunst und Kultur fördern, aber in Facetten. Die Unterschiedlichkeit müssen wir herausstellen. 

Die überall angeblich gleiche Güte, das gleichrestaurierte Fachwerk, der gleich gepflasterte Marktplatz, die gleich ausgestattete Bibliothek, das gleich ausgerüstete Orchester, das… ist Ausdruck der kulturellen Chancengleichheit im Lande. 

Chancengleichheit kann gerade der Wert der Kultur oder besser Kunst entstanden? 

Programme können gut sein – aber das Vorbild ist besser! 

Reinhard ,,Charles” Schulz 

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