PERESTROIKA – UMBAU ODER NEUBAU?

Mit Michail Gorbatschow ist ein moderner Pragmatiker an die Spitze der UDSSR gelangt, der auf die Gefahren altmodischen Denkens unter den völlig neuen Bedingungen der heutigen Weltpolitik hinweist. Die großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Sowjetunion und des gesamten Ostblocks, die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung über Lebensmittelrationierungen und der Amputation der Meinungsfreiheit sind aber nur zwei zentrale Gründe für Gorbatschows Reformprogramm.
Im Vordergrund steht unverkennbar der Gedanke, die Unpopularität von Ronald Reagan im westlichen Bündnis für die eigene Imageverbesserung auszunutzen. Mit offensiver Friedenspolitik, großzügigen Abrüstungsangeboten und kulturellen Offerten will Gorbatschow das alte Feindbild abbauen.
Sprüche wie „Das Reich des Bösen „, von den „Patrioten“ während der letzten Bundestagswahl als Hauptslogan gebraucht, haben ihre Plakativität verloren. Das liegt auch daran, daß die meisten Menschen unter 40 Jahren mit der UDSSR keinen direkten Kontakt hatten; die zum Teil schrecklichen Erinnerungen der Kriegsgefangenen wie der gesamten Kriegsgeneration an die Vertreibung aus den ehemaligen Ostgebieten und das nicht immer vorbildliche Verhalten russischer Soldaten bei deren Einmarsch geraten in Vergessenheit.
Dazu kommt die Idealisierung und Romantisierung des Kommunismus und des Sozialismus gerade in unserer Generation. Dieser Hammer- und Sichelromantik verdanken beispielsweise die Grünen einen Großteil ihrer Stimmen, indem sie das Feindbild einfach in Richtung USA umgedreht haben und die Lücke zwischen Anspruch und Realität des Kommunismus/Sozialismus verwischen.
So werden viele Menschen offener für Marx und Lenin – aber auch für Ditfurth, Fischer und Konsorten (nicht zu vergessen Oskar Lafontaine) – ohne dass diesen Menschen bewusst wird, dass sie es hier mit idealistischen Träumereien zu tun haben. Die Praxis sieht erwiesenermaßen anders aus, die Realität ist Afghanistan, Solidarität in Polen, Schießbefehl an der Berliner Mauer und viele andere Fakten, die die Glaubwürdigkeit des Kommunismus und aller verwandten Ideologien mehr als nur in Frage stellen. Hier liegen aber auch Defizite der westlichen Politiker. Mit Rambo und ähnlichen Auswüchsen von Geschichtsselbstbefriedigung erweckt man in Europa eher Heiterkeit und Abneigung als patriotische Gefühle.
Unbewusst sperren sich viele Jugendliche gegen den Missbrauch ihrer Idole durch politische Propaganda. Der Effekt ist eine Trotz- und Mitleidshaltung, die der UDSSR zugute kommt. Außerdem ist es mit tolpatschigen Bemerkungen wie jenen des Dr. Kohl auch nicht einfach, die UDSSR aus der Ecke des von allen geächteten und ungeliebten, dabei aber völlig unschuldigen Landes zu ziehen, in die sich die UDSSR aber ja immer noch selbst hineingestellt hat.
Die Reformen Gorbatschows sollen den inneren Feind ebenso bekämpfen wie den Äußeren, indem er die Feinde von innen aushöhlt. Deshalb sollte
man der Glasnost und der Perestroika Gorbatschows mit der nötigen Distanz gegenüberstehen, freilich ohne sie zu übergehen.