STOPPT DEN PLASTIKWAHNSINN!

Neulich an der Supermarktkasse: Die Kundin vor mir blickt auf das Warenband. Entsetzen in ihrem Gesicht. Weit aufgerissene Augen. Sie schnappt nach Worten. Dann der Ausspruch: „Wollen Sie DAS wirklich kaufen?“. Ich beabsichtigte nicht etwa, 20 Schachteln Zigaretten und 80 Liter Vodka zu kaufen (dem liberalen Leser fällt auf, dass auch jenes theoretische Vorhaben mit Gleichmut hingenommen werden sollte); nein, auf dem Warenband vor mir befanden sich Plastikstrohhalme. Nach ausbleibender Reaktion meinerseits erklärte mir die Dame, welch gewissenlose und egoistische Handlung ich doch vollzog; der Konsum von Plastikstrohhalmen sei verantwortungslos und werde („Gott sei Dank!“) in unserem Lande bald verboten sein.

Mit ihrer Meinung steht sie nicht alleine dar. Viele Deutsche sind dem Plastikwahnsinn geradezu verfallen. Ein guter Mensch, ein ethisch korrekt handelnder Mensch, lebt ohne Plastik. Er kauft mit seiner Jute-Tüte in Unverpackt-Läden ein, verwendet Kosmetik ohne Mikroplastik und schneidet seinen Rasen per Hand mit der Metallschere (man stelle sich vor, die Abnutzungen aus Rasenmäherteilen gelangen als kleinste Plastikteilchen in das Grundwasser!).

Auch die EU hat sich dem Plastikwahnsinn nicht entziehen können. Sie möchte eine „europäische Strategie für Kunststoffe in der Kreislaufwirtschaft“ (Europäische Kommission 2018) vorantreiben, die neben begrüßenswerten Plänen zur Optimierung von Recyclingprozessen und Einschränkungen zum Export von Abfällen unter anderem auch auf den schrittweisen Abbau von Plastikprodukten im Handel setzt. Plastikstrohhalme ade! Die Kunststoffindustrie ist von nicht geringer Bedeutung für die europäische Wirtschaft, doch Potential für Innovationen ist vorhanden. Beispielsweise hat die Forschung und Verwendung von wiederverwendbarem Plastik nicht nur einen positiven Effekt auf die Wertschöpfung, sondern kann auch für Arbeitsplätze und Wettbewerbsvorteile sorgen.

Die Pläne der EU sind vielen Verbrauchern in Deutschland jedoch nicht genug und so erhöht sich mit der Zahl der Plastik-Verzichter auch der Nachdruck hinter ihren Warnungen. Bilder sterbender Schildkröten sollen mein herzloses Handeln verdeutlichen. Bedauerlicherweise basieren die Maßnahmen und verbreiteten Weisheiten der selbsternannten Umweltretter jedoch selten auf wissenschaftlichen Fakten. In Anbetracht der Fehlinformationen, welche von als seriös anerkannten Quellen publiziert und schließlich in der Öffentlichkeit als Wahrheit manifestiert werden, ist dies auch niemandem übel zu nehmen (großzügig verzichte ich an dieser Stelle auf eine Diskussion zur Fähigkeit der kritischen Quellenreflektion des mündigen und eigenverantwortlichen Bürgers).

Es ist an der Zeit, Fakten zu schaffen. Wissenschaftliche, belegte Fakten. Was wissen wir wirklich über Plastik in unseren Meeren? Versucht man herauszufinden, wie viel Kunststoff sich genau in unseren Ozeanen befindet, so ist nur eines sicher: Man weiß es nicht genau (Jambeck et al. 2015). Und sucht man nach den berühmten garbage patches, staatengroße Ansammlungen von Plastik, die so stabil sind, dass man auf ihnen laufen kann, so kann festgestellt werden: Es gibt sie nicht (Law et al. 2010). Das Problem ist da, kann aber nicht bekämpft werden, wenn Mythen unseren Blick vernebeln.

Auch wenn Plastik in letzter Zeit zur bösen Hauptfigur generationenungerechter Politik wurde, so dürfen an dieser Stelle die Vorteile dieses Materials nicht unerwähnt bleiben. Gerade in der Medizin sind Kunststoffe nicht wegzudenken. So finden sie Verwendung als Bauteile von medizinischen Geräten, in Spritzen, Pflastern und Implantaten wie Herzklappen. Die Hygiene erfordert oft Wegwerfartikel (Kohlepp 2005).

Werfen wir abschließend noch einen Blick auf Deutschland. Angesichts der Hysterie und des Aktionismus der vom Plastikwahn betroffenen Teile der Bevölkerung, sollte man annehmen können, Deutschland sei Spitzenreiter der Kunststoffkriminellen. Ruft man sich die Recycling-Infrastruktur und die Größe des Landes ins Gedächtnis, so wirkt dies eher unwahrscheinlich. Selbst alle EU-Länder zusammengenommen würden nur auf Platz 18 der Rangliste plastikabfallgenerierender Länder stehen (Jambeck et al. 2015). Um es deutlich zu sagen: Jedwede Maßnahme, die in Deutschland ergriffen wird, selbst der komplette Verzicht auf Plastik, kann das globale Problem nicht lösen, ein Effekt würde nicht einmal sichtbar werden. Wir müssen verstehen, dass unser nationaler Aktionismus unsinnig und irrational ist.

Ist dies nun ein Aufruf zur Gleichgültigkeit? Ein Loblied auf das Plastik? Sollten wir morgen die Läden plündern und Plastikbesteck bunkern? Ganz klar: Nein. Dies ist ein Aufruf, in der Plastikdebatte zurück zur Realität zu kehren, mit Tatsachen zu argumentieren und wissenschaftliche Fakten über verblendete Ideale zu stellen. Ein Plastikstrohhalm darf kein Stigma sein. Nur unter diesen Voraussetzungen können umweltpolitische Strategien entstehen, die langfristig funktionieren und mit freiheitlichem Denken vereinbar sind. Stoppt den Plastikwahnsinn!

Ideals are dangerous things. Realities are better.

Oscar Wilde

Literatur:

Europäische Kommission (2018). Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen.

Jambeck, J., Geyer, R. et al. (2015). „Plastic waste inputs from land into the ocean“. Science (347) 6223:768-771.

Kohlepp, K. (2005). Wachstum im Wandel der Zeiten – Entwicklungsgeschichte der Kunststoffe. Kunststoffe. 22 – 32.

Law, K., Moret-Ferguson, S. et al. (2010). „Plastic Accumulation in the North Atlantic Sub-tropical Gyre“. Science (329) 5996: 1185-1188.   


Über den Autor: Vanessa Rücker

Vanessa arbeitet in der Ultraschallbranche. Sie interessiert sich für Kunst, Naturwissenschaften, und die schönen Dinge des Lebens. Ihr politisches Lieblingsthema ist die liberale Steuerpolitik, aber ebenso ist ihr die Kommunalpolitik mittlerweile ans Herz gewachsen.

Kommentare (1)

  • Felix Kibellus

    Toller Artikel 🙂

    Verfasst am 15.06.2019 Antworten

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