ALTE LÄNDER, NEUE LÄNDER

Mittlerweile ist es 28 Jahre her, dass Deutschland wieder eins wurde. Ein gemeinsames Territorium, eine gemeinsame Regierung, eine gemeinsame nationale Identität. Alles hervorgerufen durch zivilgesellschaftliches Engagement und letztendlich den Fall der Berliner Mauer, ein Meilenstein in der Geschichte und ein starkes Zeichen für Demokratie, Freiheit und Frieden. Soweit vorweg. Alles spricht für einen freudigen Feiertag, bei dem man sich in den Armen liegt und Festakte zelebriert. 

In Wahrheit fällt der Tag der deutschen Einheit allerdings mitten in eine polarisierende gesellschaftliche Debatte rund um Diskriminierungen, Extremismus und den Vorfällen in Chemnitz. Wie geeint ist Deutschland also eigentlich? Allen voran gilt es, die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Blick zu nehmen. Die Angleichung der Lebensverhältnisse ist seit der Wiedervereinigung ein unerreichtes Ziel jeder Regierung. Der Deutschland-Report der Prognos AG kommt zu dem Urteil, der Osten habe zwar aufgeholt, aber „zwischen den Bundesländern wird es auch in Zukunft erhebliche wirtschaftliche Unterschiede geben.“ Dies liegt vor allem daran, dass die Wirtschaft im Osten langsamer wächst als im Westen, weshalb es nie eine Angleichung geben könne. Die Löhne können schließlich auch nur so viel steigen, wie es die Wirtschaftsleistung zulässt. Dabei wird der Osten weiter abgehängt werden. Kurz zusammengefasst: Der Lebensstandard im Osten ist auch nach fast drei Jahrzehnten nicht einmal annähernd so hoch wie im Westen. Hinzu kommen Probleme wie die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte und Unternehmen, die zunehmende Alterung der Gesellschaft sowie eine verfehlte Strukturpolitik. Es wäre zu einfach, ausschließlich die ostdeutschen Problematiken als Kernursache für die Unzufriedenheit in Deutschland zu identifizieren. Ihren Beitrag leistet sie allerdings definitiv. Und das ist, schaut man sich die Lebensverhältnisse und Ungleichheiten zum Westen an, nicht einmal verwunderlich. Stattdessen sind konsequente Maßnahmen notwendig. Allen voran gehört dazu der Abbau von Diskriminierungen und Ausländerfeindlichkeiten. Nicht nur, dass beides absolut menschenverachtend ist und aufgrund eines gesunden Menschenverstandes keinen Platz in der Gesellschaft haben sollte, auch wird durch die Vertreibung Fremder auch die Wirtschaft vertrieben, was wiederum Unmut und Ärger hervorruft. Ein klassischer Teufelskreis, der durchbrochen werden muss. Hinzu kommt eine wirkliche Strukturpolitik, die den Osten für Investitionen und Facharbeiter attraktiv macht. Statt einem Leben von Transferzahlungen, die nichts anderes als süchtig machen und Eigeninitiative verhindern, wäre die Schaffung von Standortfaktoren ein wichtiges Mittel, um die Attraktivität des Ostens zu erhöhen. Der zentrale Ansatz muss es sein, das ostdeutsche Wachstum zu beschleunigen, damit der Osten wirtschaftlich konkurrenzfähiger wird und sich die Lebensverhältnisse angleichen. Dafür bedarf es wirtschaftlichen Anreizen wie Steuerentlastungen oder der Herstellung einer ausgebauten Infrastruktur. Menschen und Unternehmen müssen sich wohlfühlen und einen Vorteil davon haben, ihr Unternehmen gerade an diesem Standort aufzubauen. Dafür müssen Voraussetzungen geschaffen und Anreize gesetzt werden.

Sogenannte Bürger „zweiter Klasse“ darf es in einem Land wie Deutschland, in dem Wohlstand herrscht, demokratische Strukturen etabliert sind und jeder Mensch Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung genießt, nicht geben. Als Liberaler bin ich davon überzeugt, jeder Mensch kann alles erreichen. Elementar dafür ist allerdings, Chancengerechtigkeit herzustellen. Ob im Osten oder im Westen. Geben wir den Menschen die Möglichkeit, dass sie alles werden und ihr Leben so gestalten können, wie sie es für richtig halten, werden sich viele Spannungen auflösen, Disparitäten abgebaut und Brücken geschlagen. Ob jemand im Osten oder Westen aufwächst, darf kein Grund dafür sein, im Leben abgehängt zu sein, nicht seine Ziele verwirklichen zu können oder in wirtschaftlicher, politischer oder gesellschaftlicher Hinsicht benachteiligt zu werden!

Die Botschaft am Ende dieses Kommentars lautet: Die deutsche Einheit ist noch längst nicht vollendet. Führen wir sie fort, indem Diskriminierungen beseitigt, Vorurteile abgebaut und Chancengerechtigkeit hergestellt wird. Nur so kann im Sinne Willy Brandts zusammenwachsen, was zusammengehöre.

Der Inhalt der Blog-Beiträge spiegelt die Privatmeinung der einzelnen Autoren wieder und ist nicht zwingend Beschlusslage der Jungen Liberalen Hessen


Über den Autor: Niklas Hannott

Niklas Hannott arbeitet als Lehrer an einem Gymnasium und ist ehemaliger Landesvorsitzender der JuLis Hessen. Ihr erreicht ihn unter hannott@julis.de