Sammeln Sie Punkte?

Ich besitze kein Auto. Das hat mich jedoch in der Vergangenheit nicht davon abgehalten, vier Punkte in Flensburg und einen Monat Fahrverbot zu kassieren. Bin ich damit noch ein rechtstreuer Autofahrer, oder bereits gefährlicher Raser?
Innerorts 21km/h bzw. außerorts 26km/h zu viel – und der Lappen ist für einen Monat weg. So lautet die Sanktion für Geschwindigkeitsüberschreitungen seit der aktuellen StVO-Novelle, Ende April. Was sich als Student/-in in der Großstadt noch einigermaßen gut ertragen lässt, wird spätestens für Vielfahrer, Berufstätige und Pendler existenzbedrohend.
Und nicht nur das: Dort, wo die Bahn eben nicht mehr im Minutentakt, kein Bus mehr nach 18 Uhr fährt, das Taxi zu teuer und Uber noch ein Fremdwort ist, dort gehört das Auto zur gesellschaftlichen Teilhabe nunmal dazu.
Du weißt nicht mehr, wie Du zur Schule, zur Ausbildungsstätte oder zum Sportverein kommst? Jetzt kannst Du ja vier Wochen zuhause reumütig über dein Verhalten nachdenken. „Oh, Du wusstest gar nicht, dass hier nur 30km/h erlaubt sind? Egal!“
Nicht jeder Zu-Schnell-Fahrer ist ein gemeingefährlicher Raser, den es aus den Verkehr herauszunehmen gilt: Gerade im deutschen Schilderwald lässt sich schnell der Überblick verlieren, wo genau jetzt die 30er-Zone beginnt und die „normal“ erlaubten 50km/h enden. Schild zugeparkt, Äste davor oder schlechte Sicht bei Nacht und Witterung. Oder meine Lieblinge: 30er-Zonen, die nur zeitlich beschränkt gelten. Da ist man sich kurz der Uhrzeit nicht bewusst und vergisst, ob gerade Werktag, Vollmond und Schaltjahr ist und schon blitzt es. Außerorts dasselbe Spiel: Alle Hundertmeter ändert sich die erlaubte Geschwindigkeit, mal mit teils widersprüchlicher Beschilderung oder mit unterschiedlich erlaubten Geschwindigkeiten, je nach Spur. Übersichtlich? Mitnichten! Jedenfalls symptomatisch für unsere Infrastruktur, die ihre besten Jahre längst hinter sich gelassen hat.
Es gibt viele gute Gründe, die echten Gefährder wörtlich aus dem Verkehr zu ziehen, darum geht es mir hier auch gar nicht. Die bleiben selbst von einem Fahrverbot unbeeindruckt. Ein Auto fährt schließlich mit Benzin und nicht mit Führerschein. Aber eine Law-and-Order-Politik schießt am Ziel vorbei:
Gutgläubigkeit wird bestraft, Gutwilligkeit wird mit dem Zeigefinger belehrt und wer ernsthaft auf das Auto angewiesen ist, wird desozialisiert.
Auch der Bundesverkehrsminister hat glücklicherweise Einsicht bezüglich seiner jüngsten Sanktionsreform erlangt und übt sich in Rückabwicklung. Da hat er allerdings seine Rechnung ohne eine grüne Verbotspartei gemacht, die kurzerhand die Interessenvertretung der Länder zur parteipolitischen Bühne heraufbeschwört. Und den nächsten großen Showdown um die Zukunft des autofreien Straßenverkehrs wittert.
Dreizehn Bundesländer, auch Hessen, haben zurzeit die Anwendung der jüngsten StVO-Novelle auf Eis gelegt, aufgrund handwerklicher Fehler, dem Verstoß gegen das grundgesetzliche Zitiergebot. Es wird höchste Zeit, dass wir die Verordnung kritisch auf den Prüfstand nehmen, nicht nur aus formell-verfassungsrechtlichen Gründen.